Dies Domini – 4. Sonntag im Jahreskreis, Lesejahr A
Verstörung ergreift nicht selten die Frommen, wenn sie feststellen, das Glauben aus Taten besteht. Für manch einen Frommen sind das bloße Eseleien. Man müsse doch erst seine eigene Christusbeziehung begründen, sagen sie dann. Da diese Beziehung aber entweder nie tief genug sein kann oder man sich nicht sicher ist, ob man Christus überhaupt schon gefunden hat, steht der privatisierende Rückzug in die Pflege einer individualistischen Spiritualität ganz oben auf einer Agenda, die eitel von den Niederungen weltlicher Herausforderungen abwendet, um sich ganz dem zu widmen, der sich nicht zu schade war, schnödes weltliches Fleisch zu werden.
In dem steten Bestreben, sich weltlicher Belange zu entledigen, besteht indes eine eigenartige Allianz mit denen, die den Glauben gerne aus anderen Gründen aus der Öffentlichkeit verbannen möchten. Humanisten, Atheisten und Kirchenkritiker werden nicht müde, den Glauben bestenfalls als Privatsache abzutun. Eine öffentliche Sichtbarkeit von und ein kritischer Diskurs über und mit Religion und Glaube ist unerwünscht. Offensichtlich berühren die metaphysischen Fragen, mit denen sich der Glaubende auseinandersetzt, tiefsitzende Zweifel, denen der eine wie der andere gerne aus dem Weg gehen möchte. Es ist also besser, die Begegnung mit diesen Fragen erst gar nicht zuzulassen.
Die Forderung nach einem öffentlich gezeigten, gelebten und vernünftig gegründeten Glauben ist eine Zumutung ebenso für manche Fromme wie für viele Glaubenskritiker. Allein die Tatsache, dass Glauben und Vernunft keine Gegensätze, sondern Komplemente sind, die sich gegenseitig ergänzen und gerade darin tiefere Erkenntnis und Aufklärung ermöglichen, verstört die einen wie die anderen. Lieber wäre es beiden, wenn die Sache mit der Religion privat bliebe; dann bliebe man wenigstens vor unangenehmen Auseinandersetzungen verschont.
In eben dieser Haltung verbitten sich Fromme wie Kritiker dann auch jede Einmischung der Kirchen in die Politik. Wenn der Glaube Privatsache wäre, dann hätte er eben auch im politischen Diskurs nichts zu suchen.
Freilich muss man nicht erst Paul Tillichs Diktum bemühen, dass
„Religion (…) im weitesten und tiefsten Sinne das [ist], was uns unbedingt angeht.“
Bereits der Jakobusbrief fragt nicht bloß rhetorisch:
Meine Brüder, was nützt es, wenn einer sagt, er habe Glauben, aber es fehlen die Werke? Kann etwa der Glaube ihn retten? Wenn ein Bruder oder eine Schwester ohne Kleidung ist und ohne das tägliche Brot und einer von euch zu ihnen sagt: Geht in Frieden, wärmt und sättigt euch!, ihr gebt ihnen aber nicht, was sie zum Leben brauchen – was nützt das? (Jakobus 2,14-16)
Und er kommt zu dem Schluss:
So ist auch der Glaube für sich allein tot, wenn er nicht Werke vorzuweisen hat. (Jakobus 2,17)
Der Jakobusbrief wurde von Martin Luther als „stroherne Epistel“ bezeichnet, weil die Notwendigkeit eines sich in Taten hinein entäußernden Glaubens seinem Verständnis einer Rechtfertigung allein aus Glauben zu widersprechen schien. Dabei ist das gar nicht die Intention des Jakobusbriefes. Er setzt weder die Werke an die Stelle des Glaubens noch redet er einer Werkgerechtigkeit das Wort. Vielmehr betont er, dass ein bloßer Glaube, der keine tatkräftigen Konsequenzen hat, unnütz und leblos, eben tot ist. Deshalb fordert der Autor des Jakobusbriefes:
Zeig mir deinen Glauben ohne die Werke und ich zeige dir aus meinen Werken den Glauben. (Jakobus 2,28b)
In den Taten kommt der Glaube erst zu sich selbst. Die Taten aber haben immer eine politische Dimension. Mystik geht nicht ohne Politik. Das deutet der Autor des Jakobusbriefes selbst an, wenn er das Beispiel von den nackten und hungernden Brüdern und Schwestern anführt, die von frommen Gebeten und warmen Worten allein nicht gewärmt und satt werden.
Glaube kann also nie Privatsache sein. Das wird auch im Antwortpsalm vom 4. Sonntag im Jahreskreis im Lesejahr A deutlich, wenn der Psalmist Gott preisend ausruft:
Wohl dem, dessen Halt der Gott Jakobs ist und der seine Hoffnung auf den Herrn, seinen Gott, setzt. Recht verschafft er den Unterdrückten, den Hungernden gibt er Brot; der Herr befreit die Gefangenen. Der Herr öffnet den Blinden die Augen, er richtet die Gebeugten auf. Der Herr beschützt die Fremden und verhilft den Waisen und Witwen zu ihrem Recht. Der Herr liebt die Gerechten, doch die Schritte der Frevler leitet er in die Irre. Der Herr ist König auf ewig, dein Gott, Zion, herrscht von Geschlecht zu Geschlecht. (Psalm 146, 5.7-10)
Gott tritt für die Armen und Gedemütigten ein. Diese Verheißung ist kein sedierendes Placebo, keine banale Vertröstung auf ein diffuses Jenseits. Sie gilt im Hier und Jetzt. Die Welt ist der Ort, in dem die Verheißung Wirklichkeit wird. Wie sonst hätte man die Propheten in Ablehnung wie späterer Verehrung ernst nehmen können, wenn sie ihr Wort nicht in die politischen Wirklichkeiten ihrer Zeiten hinein gesprochen hätten. So auch der Prophet Zefanja, aus dessen Worten die erste Lesung vom 4. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres A verkündet wird:
Sucht den Herrn, ihr Gedemütigten im Land, die ihr nach dem Recht des Herrn lebt. Sucht Gerechtigkeit, sucht Demut! Vielleicht bleibt ihr geborgen am Tag des Zornes des Herrn. Ich lasse in deiner Mitte übrig ein demütiges und armes Volk, das seine Zuflucht such beim Namen des Herrn. Der Rest von Israel wird kein Unrecht mehr tun und wird nicht mehr lügen, in ihrem Mund findet man kein unwahres Wort mehr. Ja, sie gehen friedlich auf die Weide, und niemand schreckt sie auf, wenn sie ruhen. (Zefanja 2,3;3,12f)
Die Lesung lässt zwischen dem einleitenden Vers (Zefanja 2,3) und der Verheißung für den Rest Israels (Zefanja 3,12f) einen großen Teil der prophetischen Rede aus. So droht der Prophet in Zefanja 2,4-15 den Nachbarvölkern Israels das Gericht an und sagt den endgültigen Sieg Gottes voraus, während er in Zefanja 3,1-8 der Stadt Jerusalem Wehe und Bestrafung androht. Es sind düstere Visionen, die Zefanja verkündet – Worte, die niemand hören mag, aber Wort, die wohl ihre Wirkung gezeigt haben, denn in Zefanja 3,9 verändert sich der Ton:
Dann werde ich die Lippen der Völker verwandeln in reine Lippen, damit alle den Namen des Herrn anrufen und ihm einmütig dienen. Von jenseits der Ströme von Kusch bringen mir meine Verehrer dann als Gabe die Gemeinde meiner Verstreuten. An jenem Tag brauchst du dich nicht mehr zu schämen, wegen all deiner schändlichen Taten, die du gegen mich verübt hast. (Zefanja 3,9f)
Das Wort des Propheten stört und verstört. Er wird auf Widerstand treffen, aber er weicht nicht. Nur dank prophetischer Beharrlichkeit und Standhaftigkeit verändern sich die Verhältnisse und Israel wird vom einem Land der Gedemütigten zu einem Licht, dem die Völker zustreben. Statt Hochmut soll Demut herrschen, wenigstens bei einem kleinen Rest, jenem Funken, der das Licht der Hoffnung in sich trägt, der nach Gerechtigkeit strebt und der Lüge flieht. Es wird jener Funke sein, der zum Feuer der Hoffnung werden wird. Solange diese Glut unter der Asche ist, besteht Hoffnung.
Ein Feuer, ja selbst die bloße Glut zu erhalten, bedeutet Arbeit. An der Tat führt kein Weg vorbei. Auch ein Gebet wirkt nicht allein, wenn sich die gefalteten Hände nicht zur Tat öffnen. Nicht ohne Grund mahnt Jesus in der Bergpredigt selbst:
Alles, was ihr also von anderen erwartet, das tut auch ihnen! Darin besteht das Gesetz und die Propheten. (Matthäus 7,12)
Auch hier geht es primär genauso um das Tun (ποιεῖν – gesprochen: poieîn) wie in der Warnung wenige Verse später:
Nicht jeder, der zu mir sagt: Herr! Herr!, wird in das Himmelreich kommen, sondern nur, wer den Willen meines Vaters im Himmel erfüllt. Viele werden an jenem Tag zu mir sagen: Herr, Herr, sind wir nicht in deinem Namen als Propheten aufgetreten und haben wir nicht mit deinem Namen Dämonen ausgetrieben und mit deinem Namen viele Wunder vollbracht? Dann werde ich ihnen antworten: Ich kenne euch nicht. Weg von mir, ihr Übertreter des Gesetzes! (Matthäus 7,21-23)
Wer den Willen des Vaters nicht tut, der erscheint als Übertreter des Gesetzes – wenn das mal nicht eine hochpolitische Aussage ist …
Christen können also keine unpolitischen Wesen sein. Der Glaube drängt zu Tat, soll Tat werden, ist Tat! Ein tatenloserer Glaube ist nicht nur belanglos, er erscheint geradezu absurd. Die gesamte Bergpredigt, erscheint unter diesem Aspekt als Handlungsanweisung. Das gilt insbesondere für die acht Seligpreisungen, die nicht ohne Grund am Beginn der Bergpredigt stehen und die im Evangelium vom 4. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres A verkündet werden:
Als Jesus die vielen Menschen sah, stieg er auf einen Berg. Er setzte sich, und seine Jünger traten zu ihm. Dann begann er zu reden und lehrte sie. Er sagte: Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich. Selig die Trauernden; denn sie werden getröstet werden. Selig, die keine Gewalt anwenden; denn sie werden das Land erben. Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn sie werden satt werden. Selig die Barmherzigen; denn sie werden Erbarmen finden. Selig, die ein reines Herz haben; denn sie werden Gott schauen. Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Söhne Gottes genannt werden. Selig, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihnen gehört das Himmelreich. Selig seid ihr, wenn ihr um meinetwillen beschimpft und verfolgt und auf alle mögliche Weise verleumdet werdet. Freut euch und jubelt: Euer Lohn im Himmel wird groß sein. (Matthäus 5,1-12a)
Die acht Seligpreisungen erscheinen wie eine programmatische Ansage. In ihnen wird die Bergpredigt zusammengefasst. Achtmal werden Haltungen und Konsequenzen gegenübergestellt. Dabei erscheinen die Haltungen nicht als bloße Werte. Es sind Haltungen, die sich im Tun erweisen müssen. Arm sein vor Gott – das heißt, sich nicht selbst überheben und in der Welt zu wichtig zu nehmen. Es ist die Haltung der Demut, die allem Handeln zugrunde liegt – jene Haltung, die sich darin erweist, keine Gewalt anzuwenden. Wer so nach Gerechtigkeit hungert und dürstet, kann Hände und Füße nicht still halten bis sein Hunger und Durst gestillt sind. Die Quelle kommt nicht zum Dürstenden, der Dürstende muss zur Quelle gehen!
Ebenso verhält es sich mit der Barmherzigkeit. Barmherzigkeit ist mehr als bloße Empathie, die letztlich auf Distanz bleibt. Echte Barmherzigkeit trifft den Menschen im Innersten, im Herzen. So getroffen kann niemand still bleiben, der wer ein reines Herz hat, der wird Frieden stiften, mehr noch, er wird, wie das griechische Wort εἰρηνοποιοί (gesprochen: eirenopoioí) wörtlich übersetzt heißt, den Frieden tun. Auch hier geht es eben um das Tun, nicht um das bloße reden und beten.
Wer den Glauben so tut, der muss mit Widerstand rechnen – eben wie die Propheten, von denen es am Ende der acht Seligpreisungen heißt:
So wurden schon vor euch die Propheten verfolgt. (Matthäus 5,12b)
Dem Reichskanzler Otto von Bismarck wird ein Diktum nachgesagt, dass auch von den Bundeskanzlern Helmut Schmidt und Helmut Kohl gerne bemüht wurde:
„Mit der Bergpredigt kann man nicht regieren.“
Man kann die Kanzler des Reiches und des Bundes verstehen, denn die Bergpredigt ist ein großer Störfaktor im politischen Geschäft. Die politische Vernunft sieht sich in Frage gestellt. Es verwundert daher nicht, dass man die Religion gerne aus dieser Sphäre ausgliedern und ins Private abschieben möchte. Propheten sind zu keiner Zeit gern gesehene Gäste. Aber es sind die Propheten, die die kalte politische Logik stören und den Menschen als Faktor ins Spiel bringen und mit dem Menschen Gott, dessen Ebenbild der Mensch ist.
Erst von Gott her wird die Würde des Menschen unantastbar. Ohne den Absoluten bleibt jedes Menschrecht eine bloße Konvention, die die Autokraten und Diktatoren zu allen Zeiten mit Füßen getreten haben. Wer sich selbst zum Größten erklärt und keinen Gott über sich weiß, der braucht sich vor niemandem mehr zu rechtfertigen. Die Propheten aller Zeiten haben die Mächten an ihre eigene Niedrigkeit erinnert. Das ist die Berufung auch aller, die auf den Namen Jesu getauft und damit zu seinen Prophetinnen und Propheten geworden sind – jene Berufung, auf die Paulus in der zweiten Lesung zu sprechen kommt:
Seht auf eure Berufung, Schwestern und Brüder! Da sind nicht viele Weise im irdischen Sinn, nicht viele Mächtige, nicht viele Vornehme, sondern das Törichte in der Welt hat Gott erwählt, um die Weisen zuschanden zu machen, und das Schwache in der Welt hat Gott erwählt, um das Starke zuschanden zu machen. Und das Niedrige in der Welt und das Verachtete hat Gott erwählt: das, was nichts ist, um das, was etwas ist, zu vernichten, damit kein Mensch sich rühmen kann vor Gott. (1 Korinther 1,26-29)
Niemand, der getauft ist, kann sich von diesem Auftrag dispensieren. Der Auftrag ist erteilt. Betet deshalb, Brüder und Schwestern, dass der Geist der Frömmigkeit und Einsicht auch zum Geist der Stärke wird. Spiritualität ist nämlich nichts, was man tun oder erlangen kann. Spiritualität ist das Bewusstsein, dass der Heilige Geist, der spiritus sanctus, Wohnsitz genommen hat im Menschen. Spiritualität ist daher vielmehr eine Haltung, aus der die Getauften ebenso leben und handeln wie weiland die Propheten, denn er ist es, der – wie es im Glaubensbekenntnis heißt –
Herr ist und lebendig macht und der gesprochen hat durch die Propheten.
Es braucht wieder einmal echte Prophetinnen und Propheten in diesen Tagen, die mit Herz und Händen beten in Wort und Tat, die die Welt verstören, damit sie verrückt wird an Gott und dadurch immer mehr Gerechtigkeit Gottes wird. Gott wirkt zu allen Zeiten durch die Prophetinnen und Propheten.
Das ist zu politisch? Das ist die Konsequenz des Glaubens! Ohne Tat aber ist der Glaube tot.
Dr. Werner Kleine
Author: Dr. Werner Kleine
Dr. Werner Kleine ist katholischer Theologe und Initiator der Katholischen Citykirche Wuppertal. Er tritt für eine Theologie ein, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
Du kannst einen Kommentar schreiben.